Die Ausgangslage vor der für Ende November geplanten Nahost-Konferenz in Annapolis ist denkbar schwierig. Die Problemlösungskompetenz der israelischen sowie der palästinensischen Führung ist durch interne Schwierigkeiten eingeschränkt. Auf israelischer Seite hat Ehud Olmert seit seiner Wahl zum Premierminister stark an Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Ehud Olmerts Koalitionspartner drohen zudem mit dem Scheitern des Regierungsbündnisses, sollte sich der Premierminister auf Verhandlungen kritischer Streitfragen wie Jerusalem, Grenzen oder die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge einlassen. Die Situation der palästinensischen Führung ist sogar noch prekärer. Präsident Mahmud Abbas und die von ihm ernannte palästinensische Regierung haben de facto nur noch die Kontrolle über das Westjordanland. Politische Fragen, die den Gaza-Streifen betreffen, lassen sich nicht mehr ohne einen Dialog mit der islamistischen Hamas lösen, die im Juli 2007 gewaltsam die Kontrolle über den Gaza-Streifen errungen hat.
Trotz der Vielzahl von Problemen vor denen die Konfliktparteien gegenwärtig stehen gibt es keine Alternative zur Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen. Gelingt es nicht bald Fortschritte auf dem Verhandlungsweg zu erzielen muss davon ausgegangen werden, dass die moderaten politischen Kräfte in den palästinensischen Gebieten, die auf eine Lösung an dem Verhandlungstisch setzen, weiter geschwächt werden. An eine Wiederbelebung des Friedensprozesses wäre dann nicht mehr zu denken.
Gegenwärtig zeichnet sich ab, dass Annapolis vor allem dazu dienen soll einen Prozess zur Lösung der Endstatus-Fragen in Gang zu setzen. Den durch die Konferenz aufgebauten Erwartungsdruck, der gegenwärtig auf den Konfliktparteien lastet, gilt es in konkrete Ergebnisse umzusetzen. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die internationale Gemeinschaft die Erfahrungen bisheriger Friedensbemühungen hinreichend berücksichtigt und sich konsequenter als bisher in die Konfliktregulierung einschaltet. 16 Jahre nach der Nahost-Friedenskonferenz von Madrid kann die internationale Gemeinschaft auf wichtige Erfahrungswerte aus dem Nahost-Friedensprozess zurückgreifen.
Eine wesentliche Einsicht aus den vergangenen Friedensbemühungen besteht erstens darin, dass eine für beide Seiten akzeptable Lösung der zentralen Streitfragen durchaus möglich scheint. In den Endstatus-Verhandlungen von Camp David und Taba haben sich die Positionen von Israel und den Palästinensern zu wichtigen Streitfragen wie Grenzen und Jerusalem bereits angenähert. Die sogenannte Genfer-Initiative, eine inoffizielle Übereinkunft zwischen moderaten Politikern beider Seiten, bietet sogar eine Blaupause für eine umfassende Friedenslösung. Die Interessen der beiden Parteien sind somit nicht unvereinbar und die Verhandlungen müssen nicht wieder bei null beginnen.
Zweitens hat der bisherige Verlauf des Friedensprozesses gezeigt, dass die Parteien auf sich alleine gestellt nicht zu einer friedlichen und konstruktiven Konfliktregulierung im Stande sind. Im Zuge des Oslo-Friedensprozesses haben sich die Beziehungen zwischen Israel und den Palästinensern kontinuierlich verschlechtert. Eine friedliche Regulierung des Konfliktes ist somit nur möglich, wenn die internationale Gemeinschaft sich wesentlich stärker als bisher in den Friedensprozess einschaltet. Vor allem müssen tragfähige Modalitäten für eine Regulierung des Konfliktes etabliert werden. Es bedarf genauer Zeitvorgaben für die Implementierung der einzelnen Verhandlungsschritte. Zudem ist ein konsequentes „Monitoring“ des Implementierungsverhaltens der beiden Parteien erforderlich.
Drittens bestand ein wesentliches Problem der bisherigen Friedensdiplomatie darin, dass diese weitgehend von einer Verbesserung der tatsächlichen Lebenssituation der Palästinenser abgekoppelt war. Dazu trug erheblich die israelische Abriegelung der palästinensischen Gebiete bei, die nach der Unterzeichnung der Oslo-Abkommen begann.
Seit Mitte der 90er Jahre palästinensische Extremisten begannen Terroranschläge in Israel zu verüben, versteht Israel seine Abriegelungspolitik als eine sicherheitspolitische Notwendigkeit. In den durch Kontrollpunkte, Zäune und Mauern immer stärker fragmentierten palästinensischen Gebieten sind inzwischen weite Teile der Bevölkerung ohne Arbeit und auf internationale Hilfslieferungen angewiesen. Damit wird ein fruchtbarer Nährboden für genau jenen Extremismus und jene Gewalt bereitet, vor der Israel sich schützen will. Um diese negative Spirale zu durchbrechen bedarf es umfassender Maßnahmen, die auf eine nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation der Bevölkerung in den palästinensischen Gebieten zielen. Die im April 2007 von General Keith Dayton vorgelegten Eckpunkte zur Umsetzung des Abkommens über Bewegung und Zugang vom November 2005 sollten daher zügig implementiert werden. Nur wenn die Bewegungsfreiheit der Palästinenser nachhaltig verbessert wird, können sich die Eigenkräfte der palästinensischen Wirtschaft entfalten.
Viertens und letztens hat die politische Entwicklung seit dem Sieg der Hamas bei den palästinensischen Parlamentswahlen vom Januar 2006 gezeigt, dass die auf die Isolierung der Hamas gerichtete westliche Politik kein probates Mittel ist, um die moderaten Kräfte in den palästinensischen Gebieten zu fördern. Vielmehr hat diese Politik zu einer Verschärfung der innerpalästinensischen Auseinandersetzung und zur Spaltung der palästinensischen Führung geführt. Die in jüngster Zeit von Hamas-Mitgliedern verübten Gewalttätigkeiten im Gaza-Streifen und der andauernde Raketenbeschuss Israels durch Hamas-Milizen zeugen zudem davon, dass die Isolation der Hamas den radikalen Kräften in der Bewegung Auftrieb gibt. Eine vollwertige Beteiligung der Hamas an den Friedensgesprächen in Nahost ist gegenwärtig jedoch schon deshalb nicht möglich, weil die Hamas-Bewegung nicht am Friedensprozess teilnehmen will. Dennoch sollte die palästinensische Aussöhnung von der internationalen Gemeinschaft gefördert werden. Der Dialog mit der Hamas ist wichtig, um durch die stärkere Einbindung moderater Kräfte der Hamas mittel- und langfristig eine möglichst breite palästinensische Basis für Frieden mit Israel zu schaffen.
Ein Erfolg wäre die Konferenz von Annapolis vor allem dann, wenn es gelingt einen Prozess zur Lösung der Endstatus-Fragen in Gang zu setzten und gleichzeitig tragfähige Modalitäten zur Konfliktregulierung zu etablieren, die auf den hier skizzierten Elementen beruhen. Die beiden Konfliktparteien können dies jedoch nicht alleine schaffen. Hier ist die internationale Gemeinschaft gefordert, sich nachhaltiger als bisher einzubringen.
Patrick Müller, TAPIR-Fellow und Stipendiat der Fritz Thyssen Stiftung, Wissenschaftlicher Mitarbeit der Forschungsgruppe Naher / Mittler Osten und Afrika an der SWP
Weitere Artikel von Patrick Müller:
- Die Nahostkonferenz in Annapolis
Chance für einen Neuanfang im Friedensprozess?
SWP-Aktuell 2007/A 59, November 2007, 8 Seiten